Essen wir uns krank?

In der öffentlichen Gesundheitsdebatte dominiert häufig das Prinzip der Verallgemeinerung – was in in der Natur der Sache liegt, soll sie doch letztlich zu einem breiten gesellschaftlichen Konsens führen. Doch eine zu starke Abkehr von der Differenzierung führt nicht selten zu Fehlinformationen und Verunsicherung. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Thema Ernährung.

Artikel, die ungesunde Ernährung mit Rauchen gleichsetzen oder einzelne Lebensmittel als „pures Gift“ bezeichnen, gießen Öl ins Feuer all jener, die aus lauter Unsicherheit jedem Lebensmittel misstrauen – und ebenso solcher, die nach dem Motto „Dann kann ich ja gar nichts mehr essen“ vornehmlich zu stark verarbeiteten Produkten greifen. Beides ist natürlich nicht gerade optimal.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Fakten: Im Jahr 2020 wurden in den USA mehr Todesfälle mit den Folgen einer ungesunden Ernährung in Verbindung gebracht als mit dem Rauchen. Weltweit geht etwa jeder fünfte Todesfall langfristig auf eine mangelhafte Ernährung zurück. Ein Blick in die medizinische Forschung zeigt eindeutig: Was wir täglich auf unseren Teller legen, beeinflusst unsere Gesundheit in einem Ausmaß, das wir lange unterschätzt haben.

Aber was genau bedeutet das? Schließlich stirbt niemand an „Cola“ oder „Pizza“. Unsere tägliche Ernährung ist vielmehr ein zentraler Risikofaktor – kein direkter Auslöser. Ein stiller Mitspieler bei der Entstehung zahlreicher Krankheiten, allen voran Krebs.

Das Risiko liegt auf der Gabel

Unsere Ernährung gilt als sogenannter “modulierender Einflussfaktor”, das bedeutet: Sie erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte Krankheiten entstehen, ohne sie allein zu verursachen. Sie hat das Potenzial, unsere Darmflora zu verändern, Entzündungsprozesse auszulösen, den Hormonhaushalt und den Insulinstoffwechsel zu beeinflussen sowie Zellwachstum und Zelltod mitzubestimmen. Diese Prozesse können das Krebsrisiko senken – oder eben auch erhöhen. Besonders deutlich wird das Zusammenspiel mit weiteren Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Rauchen und Übergewicht.

Konkret bedeutet das: Eine Person, die regelmäßig verarbeitetes Fleisch konsumiert, hat ein erhöhtes Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Aber: Nicht jede Person, die viel verarbeitetes Fleisch isst, bekommt Darmkrebs. Und umgekehrt können auch Menschen, die sich gesund ernähren, an Krebs erkranken – etwa aufgrund genetischer Veranlagung.

Wenn Übergewicht zur Gefahr wird

Lange Zeit wurde Übergewicht vor allem als ästhetisches Problem wahrgenommen. Heute ist das medizinische Risiko, das mit Adipositas einhergeht, eindeutig belegt. Laut der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) ist Fettleibigkeit nach dem Tabakkonsum die zweitwichtigste vermeidbare Ursache für Krebs. Starkes Übergewicht erhöht nachweislich das Risiko für mindestens 13 Krebsarten – darunter Darm-, Brust-, Gebärmutter-, Leber-, Speiseröhren-, Nieren- und Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Der Grund: Fettgewebe ist kein träges Polster, sondern biologisch hochaktiv. Es produziert Östrogene, fördert chronische Entzündungen und stört den Zuckerstoffwechsel – ein idealer Nährboden für unkontrolliertes Zellwachstum. So treten hormonabhängige Krebsarten wie Brust- oder Gebärmutterkrebs beispielsweise besonders häufig bei Frauen nach der Menopause auf die zudem adipös sind.

Der Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebs

Je nach Krebsart ist der Einfluss der Ernährung stärker oder schwächer ausgeprägt. Ein besonders deutlicher Zusammenhang besteht bei Darmkrebs. Risikofaktoren sind hier unter anderem verarbeitetes Fleisch (z. B. Wurst oder Schinken), rotes Fleisch, Alkohol sowie eine ballaststoffarme Ernährung. Schützend wirken hingegen Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte und körperliche Aktivität.

Auch Magenkrebs ist in vielen Fällen ernährungsbedingt: Gepökelte, stark gesalzene oder geräucherte Lebensmittel, ein Mangel an frischem Obst und Gemüse sowie Nitrosamine aus Konservierungsmitteln erhöhen das Risiko deutlich. Ähnliches gilt für Speiseröhrenkrebs – vor allem in Kombination mit regelmäßigem Alkoholkonsum, sehr heißen Getränken und einer antioxidativ armen Ernährung.

Selbst Leberkrebs, häufig mit Hepatitis-Infektionen assoziiert, kann durch Ernährung mitverursacht werden – etwa durch übermäßigen Alkoholkonsum, zuckerreiche Ernährung (Fettleber) oder Aflatoxine, also Schimmelpilzgifte, die in schlecht gelagerten Nüssen, Trockenfrüchten oder Gewürzen vorkommen können.

Auch bei Brust- und Bauchspeicheldrüsenkrebs zeigen Studien: Eine stark verarbeitete, zuckerreiche Ernährung erhöht das Risiko signifikant.

Die gute Nachricht

All das mag zunächst beunruhigend klingen – doch die gute Nachricht ist: Unsere Ernährung ist durch uns veränderbar. Das gibt uns einen großen Handlungsspielraum im Vergleich zu genetischen oder umweltbedingten Risikofaktoren, auf die wir nur begrenzten Einfluss haben.

Wer sich ballaststoffreich, pflanzenbasiert und ausgewogen ernährt, auf stark verarbeitete Produkte verzichtet, Übergewicht vermeidet und sich regelmäßig bewegt, kann sein persönliches Risiko deutlich senken. Natürlich gibt es keine absolute Sicherheit – auch Menschen mit gesunder Lebensweise können erkranken. Aber wir können die Wahrscheinlichkeiten zu unseren Gunsten verschieben. Und das ist eine starke Botschaft in einer Welt voller Unwägbarkeiten.

Fazit: Ernährung ist mehr als Geschmackssache

Ich bin kein Dogmatiker – mir geht es um wissenschaftliche Fakten. Und es wäre wünschenswert, wenn wir aus den Erfahrungen anderer Länder lernen, bevor wir ähnliche gesundheitliche Herausforderungen bekommen wie etwa die Vereinigten Staaten. Die Diskussionen über Ernährung werden hierzulande oft wie ein Glaubenskrieg geführt. Dabei sollte Essen weder ein Lifestyle-Gadget noch bloße Nebensache zwischen zwei Terminen sein.

Ernährung ist Genuss – aber eben auch Verantwortung. Für unsere Umwelt, für die Menschen, die unsere Lebensmittel produzieren, und nicht zuletzt für unseren eigenen Körper.

Wenn es uns gelingt, mit einer genussvollen, aber ewussten Ernährungsweise Krankheiten zu verhindern – oder zumindest das Risiko dafür zu senken –, dann ist das vielleicht die wirksamste Medizin, die wir überhaupt haben

Orginaltext von overton-magazin.de vom 02. Juni 2025