Wer diesen Sommer – wie wir – Tomaten im eigenen Garten geerntet hat, weiß, wie erstaunlich vielfältig diese Frucht sein kann: Von knallroten Fleischtomaten über sonnengelbe Kirschtomaten bis hin zu dunkelvioletten, fast schwarzen Sorten – unsere heimische Ernte beweist, wie viele Farben, Formen und Geschmäcker die Tomate zu bieten hat. Und auch grüne Tomaten sollten hier Beachtung finden. Denn einige Sorten bleiben tatsächlich auch im reifen Zustand grün und zeichnen sich durch einen aromatischen, leicht würzigen Geschmack aus – ganz im Gegenteil zu den unreifen grünen Früchten, die auf Grund ihres hohen Solaningehaltes nicht zum Verzehr geeignet sind.
Besonders die sogenannten alten Sorten punkten hier sowohl im Aussehen als auch im Geschmack. Und mehr noch: Hinter dieser Farbenpracht verbirgt sich ein beeindruckendes Arsenal an Inhaltsstoffen, die möglicherweise sogar eine Rolle in der Vorbeugung bestimmter Krebsarten spielen – allen voran Prostatakrebs.
Die Tomate gehört zur Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) und ist – botanisch gesehen – tatsächlich eine Beere. Ursprünglich stammt sie aus Mittel- und Südamerika, wo sie bereits vor Jahrhunderten kultiviert wurde. Über Spanien gelangte sie im 16. Jahrhundert nach Europa und ist heute eines der beliebtesten Gemüse der Deutschen.
Was macht sie so besonders? Neben den Vitaminen C und E enthält die Tomate eine Vielzahl sekundärer Pflanzenstoffe wie Polyphenole, Karotinoide (insbesondere das Lycopin) und Flavonoide. Viele dieser Substanzen wirken antioxidativ, also zellschützend – eine Eigenschaft, die besonders in der Krebsprävention von Interesse ist.
In den 2000er-Jahren galt Lycopin, der rote Farbstoff der Tomate, als Hoffnungsträger in der Vorbeugung von Prostatakrebs. Mehrere einflussreiche epidemiologische Studien zeigten damals eine inverse Assoziation zwischen dem Konsum von Tomaten und dem Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken.
Die bekannteste ist die Health Professionals Follow-Up Study (Giovannucci et al., 2002), in der Männer mit hohem Tomatenkonsum ein um bis zu 35–50 % reduziertes Risiko für fortgeschrittenen Prostatakrebs aufwiesen. Lycopin wurde daraufhin rasch als Hauptwirkstoff für die krebsschützenden Effekte der Tomate identifiziert. Was dann folgte, ist ein Paradebeispiel für die Kommerzialisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse: Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel boomte. Immer mehr Produkte wurden gezielt als „krebspräventiv“ oder als „natürlicher Schutz für den Mann“ beworben – wohlgemerkt, ohne dass Interventionsstudien die Wirkung isolierter Präparate bestätigen konnten.
Sieben Jahre später, 2014, revidierte der World Cancer Research Fund (WCRF) seine ursprüngliche Einschätzung und stufte Lycopin von „wahrscheinlich schützend“ auf „möglicherweise schützend“ herab. Nicht etwa, weil Lycopin sich als unwirksam erwiesen hätte, sondern weil neuere Studien widersprüchliche Ergebnisse zeigten. Besonders das isolierte Lycopin, wie es in Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt wird, zeigte in randomisierten Studien keine signifikante Wirkung auf PSA-Werte oder das Krebsrisiko. Dies wurde in mehreren Meta-Analysen bestätigt (Sharifi-Zahabi, 2022).
Der Verzehr lycopinhaltiger Lebensmittel – etwa Tomatensaucen oder Tomatenmark – scheint hingegen durchaus das Potenzial zu haben, das Risiko für Prostatakrebs zu senken, wie eine aktuelle Meta-Analyse erneut bestätigt (Balali, 2025)
Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass die krebshemmenden Effekte vermutlich durch das Zusammenspiel mehrerer Inhaltsstoffe entstehen – und nicht durch einen einzelnen isolierten Stoff.
Anders als viele Vitamine – allen voran Vitamin C – ist Lycopin hitzestabil. Mehr noch: Durch das Erhitzen wird Lycopin sogar besser verfügbar..
Besonders vorteilhaft sind dabei:
Tomatenmark oder -soße enthalten bis zu dreimal so viel verwertbares Lycopin wie rohe Tomaten. Und weil Lycopin fettlöslich ist, wird es besonders gut in Kombination mit Öl aufgenommen – zum Beispiel in einer klassischen Tomatensauce mit Olivenöl (hier das Rezept dazu: Tomatensauce).
Ein weiterer Vorteil (wenngleich kontraintuitiv): Dosentomaten bestehen meist aus vollreifen Früchten, die direkt nach der Ernte verarbeitet werden – ideal also für eine nährstoffreiche Küche.
Die Qual der Wahl
Wie bei allen Lebensmitteln stellt sich auch hier die Frage: Wozu greife ich im Supermarkt, wenn ich nicht das Glück einer eigene Ernte aus dem Garten habe? Ist Bio hier wirklich besser?
Die Studienlage hierzu ist spannend: Mehrere Untersuchungen zeigen, dass Tomaten aus biologischem Anbau häufig mehr Vitamin C, Lycopin und Polyphenole enthalten als konventionell erzeugte. Und wer auf alte Sorten zurückgreift – wie jene aus dem eigenen Garten –, profitiert zusätzlich von einer größeren Vielfalt sekundärer Pflanzenstoffe, da diese Sorten oft weniger auf Ertrag, sondern stärker auf Widerstandsfähigkeit und Nährstoffprofil gezüchtet wurden.
Tomaten unbedenklich genießen – das solltest du wissen
Nicht alles an der Tomate ist zum Verzehr geeignet: Stiele, Blätter und grüne, unreife Früchte enthalten solaninähnliche Alkaloide, die in hohen Mengen giftig sein können – insbesondere für Kinder. Deshalb vor dem Verzehr unbedingt den Stielansatz entfernen.
Ob rund oder gerippt, rot oder violett – Tomaten sind nicht nur geschmacklich vielseitig, sondern auch ernährungsphysiologisch wertvoll. Zwar ist die Forschung zur Krebsprävention noch nicht abgeschlossen, doch zahlreiche Studien liefern überzeugende Hinweise: Regelmäßiger Verzehr von Tomatenprodukten – am besten erhitzt und mit etwas Öl – kann die Gesundheit unterstützen und möglicherweise das Risiko für Prostatakrebs senken.
Bis endgültige Beweise vorliegen, gilt weiterhin: Vielfalt auf dem Teller, möglichst frisch und bunt – und mit einem großen Löffel Tomatensoße kann man selten etwas falsch machen.
Giovannucci, E. R. (2002). A prospective study of tomato products, lycopene, and prostate cancer risk. Journal of the National Cancer Institute, 94(5), 391-8.
Sharifi-Zahabi, E. S. (2022). The effect of lycopene supplement from different sources on prostate specific antigen (PSA): A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Complementary therapies in medicine, 102801.
Balali, A. F. (2025). Dietary intake of tomato and lycopene, blood levels of lycopene, and risk of total and specific cancers in adults: a systematic review and dose–response meta-analysis of prospective cohort studies. Frontiers in Nutrition, 12.
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